Predigt zum 10.2.2013
Liebe Gemeinde,
am Mittwoch beginnt die Passionszeit. Zeit, um über sich selbst nachzudenken. Deswegen läuten wir auch hier die Passionszeit am nächsten Sonntag mit einem eigenen Gottesdienst zur Fastenzeit ein: 7 Wochen ohne Vorsicht! 7 Wochen, um zu riskieren, über sich nachzudenken.
Wer über sich nachdenkt, riskiert sehr viel. Denn wenn er oder sie ganz ehrlich ist, stellt er vielleicht fest, wie blind er ist. Nicht auf die Weise blind, dass er die augenärztliche Heilkunst von Frau Mann in Anspruch nehmen müsste, sondern innerlich blind.
Von innerlicher und äußerlicher Blindheit berichtet in zwei aufeinander folgenden Geschichten unser Predigttext für den heutigen Sonntag. Er steht im 18. Kapitel des Lukasevangeliums:
Jesus nahm zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.
Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespieen werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.
Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei.
Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Die aber vorne an gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen.
Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll?
Er sprach: Herr, dass ich sehen kann.
Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.
Liebe Gemeinde, es ist zum verzweifeln: Die Jünger sind so blind!
Ist es nicht offensichtlich, von wem Jesus zu Ihnen spricht? Natürlich von sich! Er selbst wird den Römern überantwortet und von Ihnen getötet werden und wieder auferstehen. Eigentlich müssten die Jünger es langsam wissen, aber sie sehen es einfach nicht. Wobei wir natürlich gut reden können, wir kennen ja das Ende der Geschichte.
Die Jünger kannten es zu diesem Zeitpunkt, kurz vor Jericho, noch nicht. Sie ahnten vielleicht schon, dass diese Geschichte mit Jesus nicht gut enden würde. Jesus war aber auch so undiplomatisch, er ging einfach radikal seinen Weg. Er wandte sich nun einmal denen zu, mit denen keiner etwas zu tun haben wollte. Levi, dem Zöllner oder den Aussätzigen. Das konnte nicht gut enden, das ahnten vielleicht auch die Jünger. Aber vielleicht wollten Sie es nicht sehen, waren blind für das Ende der Geschichte – freiwillig Blind: Sie haben sozusagen ihre Augen vor dem Ende verschlossen. Ganz nach dem Motto: was ich nicht weiß, das macht mich nicht heiß!
Und was interessiert mich, was morgen bringt!
Manche Lebensgeschichten ähneln dem. Besonders passend dazu finde ich eine Studie zu Scheidungen, von der ich gelesen habe: Ehen werden immer mehr geschieden, wenn das Ehepaar so um die 50 ist. Die Kinder sind aus dem Haus und die Frau beantragt nun immer öfter die Scheidung: Sie sieht das Trennende. Männer sind meist davon überrascht: Was ist denn jetzt los?
Wenn die Statistik stimmt, dann neigen Männer wohl dazu, die Augen zuzumachen und lieber blind zu sein, als die Probleme in der Ehe zu sehen. Mit schlimmen Folgen für die einzelne Ehe.
Doch zurück zu unserem Predigttext: Kurz vor Jericho kommt die Gruppe um Jesus an einem erblindeten Menschen vorbei. Ob er nun von Geburt an Blind war oder erst später erblindete, wir wissen es nicht. Er kann als Blinder nicht arbeiten und bettelt. Gut möglich, dass er gar keine Arbeit erlernen konnte. Und dieser Blinder erweist sich als erstaunlich sehend. Er ruft Jesus an als den Sohn Davids. Dieser Titel stand eigentlich nur dem Messias, Gottes Gesalbtem zu. Er, der von Jesus nur gehört hat, weiß, wer da an ihm vorbei geht. Er weiß, dass Jesus Gottes Sohn ist, dass er besondere Kräfte hat. Und Jesus sagt einen sehr wichtigen Satz, als er ihn heilt: Dein Glaube hat dir geholfen.
Der Glaube ist es, der den Blinden sehend macht. Auf ganz verschiedene Weisen: Der Glaube lässt ihn erkennen, wer da vorbei kommt, wer ihm helfen kann.
Der Glaube gibt ihm Kraft Jesus trotz aller Widerworte der umherstehenden anzubetteln.
Der Glaube lässt ihn sehen.
Ich weiß nicht, ob nun ein innerliches sehen oder ein sehen im medizinischen Sinn gemeint war. Für mich persönlich ist nur wichtig, dass er sehen kann und Gott loben kann. Es geht ihm offensichtlich besser.
Glaube macht sehend. Ich glaube, diese Aussage gilt auch heute noch und gilt auch für uns, die wir innerlich blind sind. Denn Glaube gibt den Mut, sich seiner inneren Blindheit zu stellen.
Und durch den Blickwinkel des Glaubens, sehen wir Menschen und Dinge anders.
Einige Beispiele aus der letzten Woche, vor allem aus dem Schulunterricht:
Glaube lässt erkennen, dass wir auf Gott trauen, wenn es hart auf hart kommt. Dann helfen keine Horoskope, keine Tarotkarten, wenn uns zum heulen ist und Krankheit und Tod die bedrohen, die wir lieben, dann beruhigt uns nur unser Glaube an den gütigen Gott etwas.
Glaube lässt uns Außenseiter erkennen. Er zeigt uns, wie schwer das Leben für Außenseiter ist und wie wir auf diese zugehen können. Die Beispielgeschichte in der Bibel ist die des Zöllners Levi, auf den nur Jesus mit seinen Jüngern zugeht.
Glaube hilft uns bei schwierigen Entscheidungen in unserer Zeit. In der Hauptschule diskutieren wir gerade über Fortschritt und die damit verbundenen Fragen: Wann beginnt das Leben? Darf ich über das Leben bestimmen? Dürfen Kinder gezeugt werden, damit sie Organe für ihre kranken Geschwister spenden können? Darf man an Embryonen forschen? Und darf man Vergewaltigungsopfer an der Tür abweisen?
Es sind schwierige Fragen und es gibt unterschiedliche Meinungen, aber unser Glaube, der uns lehrt auf den Mitmenschen liebevoll zu achten, macht uns sehend.
Glaube macht sehend. Vielleicht ist Ihnen das auch schon passiert. Vielleicht haben Sie aber auch in der Passionszeit Lust, das Sehen zu wagen. In dem Sie es riskieren, einmal ganz anders zu sein. Indem Sie auf liebgewonnenes verzichten oder neues wagen.
Vielleicht machten Sie auch die Entdeckung, wie sehend uns unserer Glaube machen kann.
Amen.